„Ich bin nach New York gekommen, weil er der verlorenste, der elendste aller Orte ist. Die Zerbrochenheit ist allgegenwärtig. Die Unordnung universal. Sie brauchen nur die Augen zu öffnen, um es zu sehen.“ Der Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur Paul Auster weiß, wovon er spricht. Als geradezu passionierter Bewohner der Stadt der Städte, hat er sich von ihr inspirieren lassen wie selten ein Autor vor ihm.
Mitte der 1980er Jahre wurde Auster mit seiner New York-Trilogie berühmt. In seinen Büchern befasst er sich immer wieder mit den einsamen, ungewöhnlichen, oft unglücklichen Menschen. New York lässt ihn nicht los und ist wiederkehrender Schauplatz seiner Geschichten.
In „Mein New York“ begibt sich Paul Auster als Ich-Erzähler in das Labyrinth der Mega-Metropole. Mit geschärften Sinnen zieht er durch die Stadt, pickt scheinbar willkürliche Begebenheiten heraus und baut darauf seine Episoden auf, in denen er dem Hörer seine ganz persönlichen Eindrücke New Yorks vermittelt. Die Stadt im Fluss, aus der er Momentaufnahmen gleich, stetig Tropfen schöpft. Da ist beispielsweise Orgy, der jeden Morgen an derselben Straßenecke, aus demselben Winkel ein Foto macht oder Orlando, ein junger Afroamerikaner, der bei wolkenlosem Himmel mit aufgespanntem Schirm ohne Tuchbespannung spazieren geht und schließlich Neu-Newyorkerin Maria, die fremden Passanten nachspioniert.
Auster erzählt von Begebenheiten und Menschen, wie sie einem tausendfach in New York begegnen, die in der Masse unsichtbar bleiben. Auster verleiht ihnen das Gesicht, um nicht zu sagen die Existenz. Von Episode zu Episode taucht der Hörer tiefer ein in diese aufregende, rastlose Stadt, in die sozialen Verhältnisse, in die Personen. In ein New York, das es außerhalb des Bekannten zu entdecken gibt. Jeder New-York-Fan wird begeistert sein, von den neuen Facetten der Stadt. Auster schärft den Blick dafür.
Das Hörbuch wird von Schauspieler Charles Brauer gelesen, der in Deutschland vor allem als Tatort-Kommissar bekannt wurde. Nicht sofort sind Autor und Vorleser eine Einheit. Man muss sich gewöhnen, an die sonore Stimme und Betonung. Doch ganz unvermittelt bilden Stimme und Ich-Erzähler eine Symbiose. Plötzlich nimmt Brauer alias Auster uns an die Hand und führt uns zu den Schauplätzen – fast wie ein guter alter Bekannter.
Die Textauszüge sind den Romanen und Essays des Schriftstellers zusammengefügt. Einführungen oder Überleitungen gibt es nicht. Das mag manchen Hörer stören. Da es sich jedoch zumeist um einzelne kurze und oftmals abgeschlossene Episoden handelt, in denen der Autor gerne abschweift, entsteht letztlich nicht der Eindruck des Zusammenhangslosen.
Fazit
„Mein New York“ ist eine Reise in die Welt Austers. Es geht um die Anonymität der Großstadt, Einsamkeit und Identitätskrisen. Es ist kein Reiseführer zu altbekannten Sehenswürdigkeiten oder Geheimtipps der Weltmetropole. Im Gegenteil, das Buch wäre als Cityguide vollkommen ungeeignet. „Mein New York“ ist vielmehr eine Reise zu Menschen und Begebenheiten, wie sie sein könnten und in den faszinierenden Kosmos des Autors. Ein Hörbuch sowohl für Wiederentdecker des Literaten Auster als auch für Neulinge. Und auf jeden Fall eine wunderbare Ergänzung für jeden New-York-Besucher.
Paul Auster: Mein New York
2 Audio-CDs
148 Minuten
HörbucHHamburg
ISBN: 978-3-89903-775-3
Preis: 9,95 Euro