Mit vollem Gepäck und in brütender Hitze geht es zur neuen Bleibe in Bagshu. Die Straße scheint dabei eindeutig länger als am Vortag und so wird es Mittag, bevor ich ankomme.

Nachdem alles eingecheckt und ich offizieller Bewohner des kleinen Bhola-Guesthouses geworden bin, gehe ich zurück nach McLeod Ganj, um mit meiner Organisation in Kontakt zu treten. Durch all die neuen Dinge, die es zu entdecken, gab zog sich mein Weg ins scheinbar Unendliche, denn ich konnte mich oft nur allzu schwer losreißen von all den Marktständen mit indischem Essen und buddhistischen Kunstwerken, den Läden mit tibetischer Handwerkskunst und Kaschmir-Schals und vor allem natürlich von all den faszinierenden Gestalten, die die Straßen so bunt machten. Endlich angekommen, erfuhr ich, dass mein Ansprechpartner erst am nächsten Tag zu sprechen sei und ich dann wieder kommen sollte.

Nicht leicht zu verkraften

So verbrachte ich den restlichen Tag mit Erkundungsgängen durch die Stadt, wo ich vor allem auch viel Armut sah. Je weiter man sich vom Zentrum entfernte, desto zahlreicher wurden die Kranken und Alten, die in abgerissenen Lumpen am Straßenrand saßen, viele ohne Hände oder Beine, mit entstellenden Krankheiten, Wunden, darunter auch viele junge Frauen mit abgemagerten Kleinkindern. All das war nicht einfach für mich „verwöhnten Westler“ und ich wusste nicht, was ich tun sollte.

Einigen gab ich Geld, doch es waren einfach zu viele, und selbst wenn ich alles, was ich hatte hergegeben hätte, wären noch so viele da gewesen. Ich dachte mir dann, dass es ohnehin nichts ändern und sie am nächsten Tag trotzdem wieder dort sitzen würden, bemerkte jedoch schnell, dass ich damit lediglich mein Gewissen beschwichtigen wollte. Schweigsam ging ich nach Hause und dachte mir immer wieder, wie gut es die meisten Europäer doch haben und wie wenig wir dies zu schätzen wissen.

Große Enttäuschung

So machte ich mich am darauf folgenden Tag noch einmal auf den Weg, um den „Volunteer Coordinator“ anzutreffen und die Details meines Einsatzes zu regeln. Als ich wie vereinbart erschien, kam dann jedoch erst einmal eine große Enttäuschung: Es gäbe keine Plätze mehr, aber ich könnte im Juni für eine Woche aushelfen. Ich war etwas frustriert, hatte ich noch wenige Tage zuvor per Mail versichert bekommen, dass sie eine Klasse für mich hätten – und nun das.

Nach einigem Hin und Her meinte der Koordinator, er könne ja bei einer anderen Organisation in der Nähe anfragen und ich sollte zwei Stunden später noch einmal vorbei kommen. So machte ich mich also auf den Weg und erkundete die Stadt weiter, was meine Laune wieder etwas besserte. Man könnte hier wohl Jahre verbringen und trotzdem immer etwas neues entdecken – in Indien kann hinter der nächsten Hausecke so ziemlich alles auf einen warten.

Zurück beim Koordinator fuhren wir mit dem Taxi ein gutes Stück den Berg hinab nach Süden, Richtung Lower Dharamsala, wo auch Freiwillige gesucht wurden. Dort sprach ich kurz mit dem Zuständigen, jedoch war klar, dass ich aufgrund der Entfernung nicht jeden Tag von meinem Wohnort dorthin kommen könnte. Da das Taxi samt Koordinator wieder verschwunden war, lief ich also zurück nach McLeod Ganj, und überlegte, was ich mit meinen drei Monaten Indien nun anfangen sollte.

Interessante Bekanntschaften

Mein Weg nach Hause daraufhin war unglaublich ereignisreich. Zuerst kam ich mit einem Inder an einem Marktstand ins Gespräch, der mir sehr viel über die lokalen Kulturen und seine eigene Familie erzählte, was ich als äußerst bereichernd empfand. Als nächstes traf ich einen kleinen Mann, der meinte ich sähe aus wie „der Richtige“ und mich vehement aufforderte, ihm um die nächste Hausecke zu folgen.

Das nächste Erlebnis schließlich war eine Begegnung mit zwei Sadhus, den heiligen Männern der Hinduisten, die durch das Land ziehen und von Spenden leben. Wir unterhielte uns sehr lange und sie erzählten mir einiges über ihre Religion und ihr Leben – in Deutschland hätte ich mir nie vorstellen können, so lange und intensiv mit komplett fremden Menschen zu reden. Spontan begleitete mich einer meiner neuen Freunde auf meinem Heimweg, wodurch ich direkt die nächste Bekanntschaft machte.

Die Sadhus nehmen normalerweise kein Blatt vor den Mund und sprechen oft fremde Menschen an, auch mein Begleiter bildete da keine Ausnahme. So lernten wir eine holländische Dame kennen, die bereits seit Januar mit dem Motorrad durch Indien tourt – finanziert durch den Verkauf ihres Hauses in der Heimat. Nachdem der Heilige weiter gezogen war, ging ich also mit ihr in ein Restaurant und wir unterhielten uns sehr lange über alles mögliche – von der aktuellen Cricket-Meisterschaft bis zu den besten Reiserouten.

Von ihr verabschiedet wollte ich mich endgültig auf den Heimweg machen, doch dieses Mal waren es fünf indische Jungs, die mich „mitnahmen“. Wir zogen durch die Stadt und sie erzählten mir, dass sie wegen der Cricket-Spiele hier seien. Einer von ihnen schien Gefallen an mir gefunden zu haben und fragte, ob ich ihn nicht auf sein Zimmer begleiten möchte. Als ich ablehnte, zogen sie enttäuscht weiter. Was für ein verrückter Tag.

Die Suche geht weiter

Mittwoch machte ich mich auf die Suche nach einer neuen Freiwilligenstelle. Zuerst versuchte ich es bei den „Mountain Cleaners“, die ausziehen, um die Umgebung von Dharamsala von Müll zu befreien. Als ich dort jedoch niemanden antraf, der mir weiterhelfen konnte, setzte ich meine Suche fort. Zufällig kam ich kurz vor Mittag an einem Schild vorbei auf dem nach „Volunteers“ gesucht wurde, und ich muss sagen, es war ein echter Glückstreffer.

Der Sekretär, vor einigen Jahren selbst aus Tibet geflohen, war äußerst froh über mein Erscheinen. Er erklärte mir, dass ihr derzeitiger Deutschlehrer Freitag gehen würde und sie dringend jemanden bräuchten. So kam ich also zu meiner neuen Beschäftigung – statt Englisch ist es nun Deutsch-Unterricht – und ich war sehr froh eine Stelle gefunden zu haben.

Zur Eingewöhnung besuchte ich die Nachmittagsstunde der Deutschklasse, die ich unterrichten würde und lernte den derzeitigen Lehrer, der nur wenige Jahre älter als ich war, kennen. Es schien mir alles äußerst sympathisch, vor allem die Schüler schienen sehr lernfreudig und interessiert. Um den Tag abzurunden, verbrachte ich noch eine Weile bei meinem „Vorgänger“, er reist schon seit seit vielen Monaten um die Welt und hatte viel zu erzählen.

Ich bin sehr gespannt auf meine neue Aufgabe und freue mich schon darauf anzufangen.


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