Was für eine geschäftige Woche – jetzt ist es richtig los gegangen. Sonntag noch ein wenig entspannen und die freie Zeit genießen und am Montag ist es schließlich soweit: Ich halte meine erste Unterrichtsstunde.

Um es am ersten Tag erst einmal ruhig angehen zu lassen, habe ich hauptsächlich Spiele vorbereitet: Hangman mit deutschen Vokabeln, Kreuzworträtsel, dazu stelle ich mich ausführlich vor und die Stunde ist auch schon wieder vorbei – und ich ganz schön geschafft. Doch zum Ausruhen bleibt keine Zeit. Meine erste Hindi-Stunde wartet.

Schnell mache ich mich auf den Weg und komme gerade noch rechtzeitig. Zum Glück ist die Schule direkt gegenüber meiner Freiwilligenorganisation. Meine Lehrerin Rita begrüßt mich und es geht los – am Boden sitzend im großen Yoga- und Meditationszimmer. Wir gehen das Alphabet mit seinen 50 (!) Buchstaben durch, und einen nach dem anderen spreche ich nach und versuche dann ihn zu schreiben, was sich als alles andere als einfach entpuppt. Am Ende bekomme ich noch meine Hausaufgabe und mache mich auf den Weg, schon gespannt wie viel sich die Nonne Kando von unserer letzten Übungsstunde am Freitag gemerkt hat.

Als ich jedoch nach einigem Suchen zu ihrer Wohnung komme, ist abgeschlossen, niemand daheim. Ein älterer Mönch, der mich sieht, sagt sie sei nicht da und komme auch erst sehr viel später wieder. Also gehe ich zurück zur Schule und spreche mit meinem Vorgesetzten. Er erklärt, dass es Probleme gegeben hat, andere Nonnen hätten sich beschwert, dass eine Frau nicht von einem Mann unterrichtet werden dürfe und daher habe sie das ganze abgesagt. Somit hatte ich also eine Weile länger frei und konnte mich noch ein wenig auf die Nachmittagsstunde vorbereiten. Da ich weder Lehrplan noch Lehrmaterialen zur Verfügung habe heißt es daher ab jetzt jeden Morgen: Was könnte ich ihnen denn heute beibringen?

Dienstag fällt meine Hindi-Stunde aus, was dazu führt, dass ich durch das nun ebenfalls wegfallende Englisch-Training sehr viel Zeit zwischen meinen Terminen habe. Ich schlendere ein wenig durch die Stadt, spreche mit einigen Leuten und sitze in einem der vielen Cafés auf einem Hausdach. Mittlerweile verändert sich auch das Verhalten vieler Menschen mir gegenüber hier, jetzt kennen mich schon einige und nicht jeder zweite versucht, mir etwas zu verkaufen oder anderweitig an mein Geld zu kommen – was sehr erleichternd ist.

Einige der Bettler auf meinem Weg grüßen mich nun freundlich und wünschen mir einen schönen Tag, ohne schon bei meinem entferntesten Anblick in ihr Standard-Wehklagen auszubrechen. Auch mit einem Straßenhändler hatte ich bereits ein langes Gespräch über seine Herkunft, Familie und Arbeit, ohne dass er enttäuscht gewesen wäre, dass ich nichts gekauft hatte. Das ist einer der großen Vorteile, dass ich so lange hier bin und nicht ständig von Ort zu Ort ziehe: Nur wenn man die Menschen langsam kennen lernt und nicht mehr nur ein „reicher Westler“ für sie ist, kann man sich auch richtig in sie hinein versetzen und sie verstehen, was meiner Meinung nach mehr wert ist als ein Paar achtlos hingeworfene Rupien.

So langsam gewöhne ich mich an das Gefühl, vor der kleinen Klasse zu stehen und die meiste Zeit zu reden, auch wenn es etwas unangenehm ist, wie sehr sie teilweise zu mir aufsehen. In asiatischen Ländern hat das Wort der Lehrer eben noch mehr Gewicht. Das Spiel Stille Post ist übrigens der absolute Renner in der Klasse.
Kurz darauf werden in meiner zweiten Hindi-Stunde die ersten Buchstaben abgefragt und ich versage kläglich: nur drei von zehn richtig. Neben all der Unterrichtsvorbereitung hatte ich kaum gelernt. Somit bekomme ich eine neue Hausaufgabe, mit dem Auftrag es besser zu machen.

So langsam merke ich auch wie die Belastung kontinuierlich steigt. Nicht eine Aufgabe alleine ist das Problem, sondern die Kombination. Morgens muss ich früh los da der Weg zur Arbeit zu Fuß lang und auch nicht gerade entspannend ist. Dann heißt es erst einmal drei Stunden höchste Konzentration, erst für den Unterricht, dann für die Sprachstunde. Mittag kurz ein bisschen Obst essen und verschnaufen, dann geht es schon an die Planung für die Nachmittagsstunde. Nachdem selbige schließlich auch vorüber ist steht noch die Englisch-Diskussionsrunde an, die meist bis halb sechs dauert. Wenn ich danach auch noch den Heimweg überstanden habe, bin ich oft schon so müde, dass ich direkt zu Bett gehe, nur um am nächsten Morgen noch hastig den Unterricht vorzubereiten und Hindi zu lernen.

Donnerstag schließlich gönne ich mir etwas: Auf dem Obstmarkt von McLeod Ganj kaufe ich mir eine große Wassermelone, die ich nach meinem kompletten Tagesprogramm mit nach Hause nehme. Sie wiegt um die fünf Kilo und kostete gerade einmal 85 Rupien, also umgerechnet ungefähr 1,30 Euro, ein absoluter Traum, wenn man die europäischen Preise gewöhnt ist. Auf dem Heimweg erntete ich dafür einige mitfühlende Blicke, denn es war in der Tat nicht ohne das Ding in der Hitze den ganzen Weg zurück zu tragen. Endlich angekommen, wurde ich doppelt enttäuscht: Als erstes sah ich dass es auch in Bagshu Wassermelonen gab, ich hätte mir den langen Weg also sparen können. Zweitens, als ich sie voller Vorfreude aufschneide fließt gelbliche, übelriechende Flüssigkeit heraus und läuft über den Zimmerboden. Es dauert ganz schön lang bis ich alles soweit gesäubert habe, dass man zumindest nicht bei jedem Schritt festklebt und vor allem der Geruch einen nicht umhaut, wenn man eintritt. Was für ein Reinfall.

Am letzten Arbeitstag meiner ersten Woche, Freitag, bekomme ich einen kleinen Vorgeschmack auf die Monsun-Zeit. Es regnet ohne Ende. Man darf sich nun jedoch nicht an den mitteleuropäischen Regen erinnert fühlen, denn hier ist es ein wenig anders: Geht man ohne Schirm, so ist man nach einer halben Minute vollkommen durchnässt, geht man mit Schirm, so hat man vielleicht noch fünf Minuten länger. Somit steht zumindest schon einmal das Thema des Unterrichts fest:ndas Wetter. Wenn man versucht, anderen etwas beizubringen, das für einen selbstverständlich ist, dann fallen einem viele Dinge überhaupt erst auf: Zum Beispiel sagt man „es regnet“, jedoch „heute regnet es“, also verändert sich die Reihenfolge der Wörter nur aufgrund der Zugabe einer Zeitangabe. Bis man so etwas Sprachanfängern verständlich gemacht hat, vor allem wenn man es selbst nicht wirklich begründen kann, dauert seine Zeit.

Nachdem wir in der letzten Stunde dieser Woche noch einige unregelmäßige Verben konjugiert haben geht es endlich ab nach Hause – Zeit für Wochenende.


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