Am ruhigen Samstagmorgen spreche ich beim Spazierengehen eine der tibetischen Malerinnen an, die am Straßenrand ihre Bilder zum Verkauf anbieten und frage, ob es möglich sei, einen Kurs zu belegen. Die traditionell tibetischen Gemälde sind faszinierend und ich möchte gerne mehr darüber lernen. Zu meiner Überraschung bekomme ich sofort eine Zusage. Wahrscheinlich bin ich nicht der erste Reisende, der sich danach erkundigt.

Noch am selben Wochenende habe ich meine erste Unterrichtsstunde: Morgens um sechs geht es los und ich treffe mich mit meinem Lehrer zwischen Bhagsu und McLeod Ganj, wo er und seine Schwester sich ein Atelier teilen. Beide haben ihr Handwerk in Tibet von Meistern gelernt und verdienen nun im Exil ihren Lebensunterhalt mit Gemälden und Kursen. Als ich ankomme, ist schon alles bereit und ich werde erst einmal eingewiesen. Thangkas sind heilige Bilder, die in einem langen Prozess, zumeist über mehrere Wochen, gemalt werden. Sie bilden Gottheiten, Erleuchtete oder buddhistische Legenden ab, sind gespickt mit Details und derart fein gemalt, dass man sich kaum vorstellen kann, wie etwas derartiges mit einem Pinsel zustande kommen kann.

Die Zeit verfliegt

Zunächst wird eines der heiligen Motive ausgewählt und mit Bleistift auf eine Stoff-Leinwand gezeichnet. Dann geht es an das zeitintensive Malen: Mit viel Fingerspitzengefühl, Ruhe und Geduld entsteht so langsam das Thangka-Bild. Ursprünglich wurde es noch von einem Lama, einem buddhistischen Lehrmeister, abgesegnet, doch bei den vielen kommerziellen Bildern für Touristen, wird dieser Schritt übersprungen. Mein Lehrer zeigt mir, wie es geht und ich mache alles so gut es geht nach. Nach zwei Stunden sind wir endlich fertig – mit der ersten Farbfläche. Die nächste Unterrichtsstunde machen wir für das folgende Wochenende aus. Ich kann es kaum erwarten, weiter an dem Bild zu arbeiten. Die Zeit ist geradezu verflogen.

Kurz darauf geht es auch schon wieder los mit meinem Deutsch-Unterricht, aber es ist weitaus weniger stressig als zuvor – so langsam habe ich den Dreh heraus. Dazu kommt noch das Glück, dass ich in dieser Woche nur drei Tage arbeiten muss – da der Dalai Lama Donnerstag und Freitag Unterricht für die tibetischen Schüler gibt, haben sie alle frei bekommen und somit auch ich. Bald mache ich mich auf den Weg zu diversen tibetischen Regierungsämtern, um mich zu erkundigen, ob es eine Möglichkeit gäbe, der Veranstaltung beizuwohnen. Doch nachdem ich von einer Ansprechstelle zur nächsten geschickt wurde, erfahre ich, dass diese leider nicht öffentlich sei.

Mittlerweile sind wieder neue tolle Leute in mein Guesthouse gezogen, die eine ganz besondere Aktivität mitbringen: Acro-Yoga. Das ganze ist eine Mischung aus Akrobatik und Partner-Yoga, sieht sehr spektakulär aus und macht unheimlich viel Spaß. Man kann es sich nur sehr schwer vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat: Die Übungen beginnen mit gegenseitigem Dehnen, und gehen über Hand- und Kopfstände bis hin zu komplizierten akrobatischen Pyramiden mit mehreren Beteiligten. Es ist viel Flexibilität und Ausdauer gefragt sowie Vertrauen in den oder die Partner. Das Schwierigste ist es, sich gleichzeitig auch noch zu entspannen. Langsam lerne ich immer mehr und kann besser mit den anderen mithalten. Es ist faszinierend, wie schnell man hier Neues kennenlernt und Dinge ausprobiert, von denen man noch nie etwas gehört hat.

Das Los eines Lehrers

Die neue Woche beginnt nicht sonderlich viel versprechend: Meine Schüler scheinen in den wenigen Tagen so ziemlich alles vergessen zu haben. Es bringt mich der Verzweiflung nahe, alles noch einmal erklären zu müssen. Doch das ist wohl eine Erfahrung, die jeder Lehrer, egal wo oder wen er unterrichtet, machen muss. Viele Schüler sind ganz gut dabei, arbeiten mit und können schon einiges, aber mit manchen anderen gibt es Probleme, vor allem aufgrund mangelnder Tibetisch-Kenntnisse meinerseits und auch, weil Englisch Unterrichtssprache ist, einige jedoch nicht einmal ansatzweise Englisch verstehen. Somit habe ich ein paar Schüler, die eigentlich nur von der Tafel abschreiben und nachsprechen, aber nichts verstehen.

Mittlerweile habe ich ein neues Element in meine tägliche Routine eingebaut – die „Dharamsala Community Library“, eine kleine Bibliothek. Somit verbringe ich nun die Zeit zwischen meinen Unterrichtsstunden dort und lese. Es ist sehr entspannend und ich genieße die Ruhe dort sehr.


Schöne Begegnung mit den beiden tibetischen Kindern

Schöne Begegnung mit den tibetischen Kindern © P.Höhnel


Mittwoch schließlich habe ich noch ein besonders schönes Erlebnis. Ich sitze gerade in der Sonne bei meinem Mittagessen zwischen zwei Unterrichtsstunden, als zwei kleine tibetische Jungen neugierig zu mir kommen. Sie sind etwa zwischen drei und fünf Jahre alt und etwas schüchtern, trauen sich aber dann doch zu mir.

Wir können zwar nicht miteinander reden, verstehen uns trotzdem bestens. Bald gebe ich ihnen eines meiner Notiz-Bücher und Stifte. Mit strahlenden Gesichtern malen sie Häuser, Bäume und Berge. Wir albern ein wenig herum und ich mache einige Fotos von den Beiden, sodass die Zeit sehr schnell vergeht. Kurz bevor ich zurück zur Arbeit muss, werden die Kleinen von einer älteren Nonne gerufen und machen sich widerwillig auf den Weg.

Nichts bleibt, wie es ist

Einen Tag später gibt es jedoch schlechte Nachrichten: Meine drei Acro-Yoga-Freunde reisen weiter nach Manali, wo sie einige Freunde treffen werden. Das ist sehr schade. Man lernt zwar häufig nette Leute kennen, wer aber wie ich an einen Ort gebunden ist, der sieht sie für gewöhnlich nicht lange, denn die meisten Traveller bleiben maximal eine Woche und sind dann wieder unterwegs. Dafür wird es nie langweilig wird. Für heute haben sich bereits zwei neue junge Damen angekündigt, ich freue mich schon darauf, sie kennen zu lernen.

Wie es im Buddhismus so schön heißt: Alles ist in Bewegung, nichts bleibt, wie es ist.


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