Gemeinsam mit anderen aufgeregten Reisenden stehe ich vor unserem Hotel und warte auf den Jeep, der uns in die Wüste bringen soll. Nur das Nötigste wird mitgenommen, ein kleiner Rucksack mit Klamotten zum Wechseln und ein Buch für ruhigere Momente.

Schon bald sitzen wir in dem engen Geländewagen und die große Wüstenstadt verschwindet weit hinter uns. Stattdessen findet sich ab und zu ein kleines Dorf in Sichtweite – sonst nichts als braune Einöde bis zum Horizont.

Endlich erreichen wir unser Ziel und sehen unsere Kamele. Friedlich kauen sie am Boden sitzend vor sich hin, während unsere Wüstenführer die letzten Vorräte aufladen. Die Tiere sind überraschend groß und betrachten neugierig die Neuankömmlinge. Schon bald heißt es zum ersten Mal: Aufsitzen! Anfangs ist es gar nicht so leicht, auf die hohen Sattel zu klettern. Sobald die Tiere aufstehen, gilt es sich gut festzuhalten. Zuerst stellen sie sich auf die Hinterläufe, was dazu führt, dass man beinahe vorne überkippt, bevor sie sich ganz erheben. Es ist eine erfrischend neue Perspektive von dort oben und hat einen schönen Überblick der Umgebung. Der Jeep verschwindet, es geht los.

Das Reiten selbst entpuppt sich als gewöhnungsbedürftig. Das ständige Hin- und Herschaukeln und der damit erforderliche Kraftaufwand in den Oberschenkeln haben schon einige Reisende aufgeben lassen. Auch der Rücken profitiert nicht gerade und nach den ersten Stunden hoch zu Kamel sind wir froh, eine Pause zu machen. Im Schatten eines großen Baumes sitzen wir auf Decken oder erkunden die nähere Umgebung, während unsere Wüstenführer das einfach Mittagessen auf offenem Feuer zubereiten. Da die mittägliche Hitze praktisch jede Bewegung unmöglich macht, bleiben wir einige Stunden an unserem Rastplatz, bis die Temperaturen wieder etwas erträglicher sind.

Stille Momente

Sonnenuntergang hinter den Sanddünen © P.Höhnel

Sonnenuntergang hinter den Sanddünen © P.Höhnel

Als wir wieder aufsitzen, um die zweite Etappe des Tages zu starten, hat sich mein Körper schon einigermaßen an das neue Gefühl gewöhnt, so dass ich mich mehr auf meine Umgebung konzentrieren kann. Wir befinden uns in einer trockenen Halbwüste mit vielen verdorrten Sträuchern, einigen größeren Büschen und wenigen Bäumen. Am beeindruckendsten ist jedoch die Stille – bis auf den Wind und das Schnaufen der Kamele ist es absolut ruhig. Jetzt erst fällt mir auf, wie sehr ich mich in den vergangenen Wochen und Monaten an den Lärm in Indien gewöhnt habe und genieße es sehr, keine Marktschreier, Autohupen und unaufhörlich bellende Hunde zu hören.

Abends erreichen wir endlich einige Sanddünen. Während unsere Begleiter Abendessen kochen, erkunden wir die Umgebung, springen von den Dünen in das Meer aus Sand und sehen uns schließlich den rot glühenden Sonnenuntergang an. Nicht viel später zeigen sich die ersten Sterne am Nachthimmel und ehe man sich versieht, funkeln sie überall am Himmel. Ohne die Luft- und Lichtverschmutzung der Städte ist die Sicht gigantisch. Noch lange liege ich auf meinem provisorischen Bett, denke über den Tag nach und genieße sowohl die Ruhe als auch die Aussicht – was für ein erster Tag!

Schon am nächsten Tag machen sich die anderen Reisenden auf den Rückweg, da sie nur eine Zwei-Tagestour gebucht hatten. Die Kamelführer nennen sie „Sunset-Tourists“, da sie oft nur des Sonnenuntergangs wegen in die Wüste wagen. Nach nicht allzu langer Zeit gewöhne ich mich immer mehr an das Reiten und die ersten Tage vergehen. Der Tagesplan ist stets nahezu identisch und so kommt es, dass sich beinahe etwas wie Alltag einstellt: In den Dünen aufwachen, nach dem Frühstück reiten, Pause zum Mittagessen machen, weiter reiten und schließlich nach dem Abendessen im Sandmeer schlafen gehen.

Ein sicheres Bett aus Sand

Skarabäus im Wüstensand © P.Höhnel

Skarabäus im Wüstensand © P.Höhnel

Einmal frage ich meine Guides, weshalb wir immer in den Dünen übernachten und bekomme eine sehr einleuchtende Antwort: wegen der Kobras. Die giftigen Schlangen sind hier nicht selten und kommen vor allem nachts ins Freie, um zu jagen. Die großen Sanddünen meiden sie jedoch im Normalfall, da es dort kaum Beute gibt. Da ich nicht allzu begeistert bin von der Vorstellung, nachts mit einer Kobra im Bett aufzuwachen, nehme ich den vielen Sand, den ich jeden Morgen aus meinen Klamotten schüttle, gerne in Kauf.

Ab und zu besuchen wir auch einige Dörfer und kleine Wüstenorte, meistens um Kamelfutter und Wasser zu organisieren. Dort werde ich stets von einer ganzen Schar Kindern umringt, die neugierig den seltsamen Fremden betrachten. Ich bin sehr froh, den Sprachkurs in Hindi gemacht zu haben, denn somit kann ich, wenn auch eingeschränkt, die eine oder andere Konversation mit ihnen halten.

Am meisten trifft es mich zu erfahren, wie schlecht die wenigen Schulen der Dörfer ausgestattet sind. Die meisten sind nur heruntergekommene Lehmhütten, in denen sich nur selten jemand aufhält. Wenn es Lehrer gibt, so kommen sie fast nie öfter als einmal im Monat zu Besuch, da die Bezahlung zu schlecht und die Arbeit zu viel ist. Das bisschen Englisch, was die Dorfbewohner beherrschen, stammt von Touristen, da man dadurch jedoch nicht lesen und schreiben lernt, sind die meisten Bewohner Analphabeten.

Langsam geht es auf das Ende meiner Safari zu und ich denke immer öfter daran, schon bald in die Zivilisation zurück zu kehren. Als die Zeit zum Aufbruch aus der Einöde gekommen ist, habe ich gemischte Gefühle. Einerseits habe ich mich gut mit meinen Kamelführern verstanden und die Ruhe und Schönheit der Natur genossen, doch andererseits freue ich mich darauf, nach zwei Wochen in brütender Hitze mal wieder eine Dusche zu nehmen und in einem sandfreien Bett zu schlafen.

Der Jeep kommt, ich fahre zurück nach Jaisalmer. Mit einem Mal werde ich von der absoluten Stille in die lärmende Stadt geworfen – und in eine Flut von Eindrücken, Einflüssen und künftigen Abenteuern auf meinem noch ungewissen Weg.


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