Nachdem ich mich von dem Abenteuer der zweiwöchigen Wüstentour langsam wieder an die Lebensumstände der Stadt gewöhnt habe, wird es auch schon Zeit an die Rückreise zu denken – nicht mehr lange und der Flug zurück nach Deutschland verlässt Dharamsala.

So versuche ich, möglichst bald alle nötigen Reiseverbindungen zu organisieren, um auch rechtzeitig vor Ort zu sein. Meine erste Station: Der Bahnhof. Nach scheinbar endlosem Warten muss ich jedoch erfahren, dass ich zu spät dran bin, alle Verbindungen sind ausgebucht und der nächste verfügbare Zug fährt einen Tag nach meinem geplantem Abflug. Doch ich habe Glück im Unglück: Eine Nachricht von der indischen Fluglinie lässt mich wissen, dass der Flug von Dharamsala nach Delhi gestrichen wurde – improvisieren ist angesagt.

Das bedeutet, dass ich über eine Woche in der chaotischen Hauptstadt verbringen werde. Ich freue mich sehr über den gestrichenen Flug. Bald ist ein Zugticket zur Old Delhi Railway Station für den nächsten Tag gebucht, denn egal, wo man gerade ist in Indien: In die Hauptstadt kommt man immer am schnellsten.

Erwartungsvoll sitze ich schließlich im Schlafwagon und sehe aus dem Fenster wie zuerst Jaisalmer und schließlich die braune Wüste Thar hinter dem Horizont verschwinden. Die Fahrt dauert die ganze Nacht. Gegen Mittag des nächsten Tages erreichen wir nach 921 Kilometern holpriger Fahrt schließlich Delhi.

Zurück in Delhi

Wie erwartet werde ich sofort nach verlassen des Bahnhofs von Rikscha- und Taxi-Fahrern belagert, die mich für massiv überhöhte Preise zu teuren Hotels bringen wollen, um dort ihre Provision zu kassieren. Da ich jedoch darauf vorbereitet war, habe ich mir bereits im Voraus eine ansprechende Gegend ausgesucht und mache mich zu Fuß auf den Weg, der Karte folgend und die lärmenden Fahrer ignorierend.

Es dauert nicht lange, bis ich eine nette und vor allem billige Bleibe im Traveller-Stadtviertel Pahar Ganj gefunden habe, ein kleines, zugegebenermaßen nicht gerade sauberes, aber dafür angenehm ruhiges Zimmer im vierten Stock – praktisch auf dem Dach der Stadt. Vor allem die Aussicht lässt nicht zu wünschen übrig, abgesehen davon verbringe ich meist ohnehin nur die Nächte dort. Die nächsten Tage sind wahres Abenteuer. Ich erkunde die Stadt zu Fuß, mache neue Bekanntschaften mit inspirierenden Reisenden und herzlichen Ortsansässigen und lasse die Großstadt auf mich wirken.

Independence Day

Feiern über den Dächern Delhis zum Independence Day / P. Höhnel

Feiern über den Dächern Delhis zum Independence Day / P. Höhnel

Ein besonderes Erlebnis ist der 15. August – der Jahrestag der indischen Unabhängigkeit von der britischen Besatzung. Mit einem Mal sind die Straßen wie leer gefegt. Ich frage mich, wo all die Menschen auf einmal hin verschwunden sind. Ich verbringe eine ganze Weile damit, durch die Straßen zu ziehen, um zu sehen, ob es irgendwo eine große Feierlichkeit gibt, die ich gerade verpasse, doch alles scheint wie ausgestorben.
Merkwürdig.

Resigniert gehe ich zurück zu meinem Hotel, doch als ich vor meinem Zimmer im vierten Stock stehe kommt die große Überraschung: Überall auf den umliegenden Dächern stehen Menschen und lassen knallbunte Drachen steigen, es ist Musik zu hören und es wird getanzt – trotz des sich immer wieder zeigenden Monsun-Regen. Kein Wunder, dass ich nichts davon mitbekommen habe – die weiten Häuserzeilen gewähren nicht viel Aussicht auf den Himmel und bei dem Höhenunterschied war auch von der Musik nichts zu hören.

Ich klettere auf das Dach meines Zimmers, und verbringe beinahe den ganzen Nachmittag damit, das wunderbare Schauspiel zu betrachten. Alles ist so friedlich, viele Menschen winken mir zu, die ganze Stadt scheint sich aus dem alltäglichen Trott der Straßen in luftige Höhen erhoben zu haben um gemeinsam ihre Souveränität zu feiern.

Auch kulturell hat Delhi – oder Dilli, wie die Hauptstadt seit einiger Zeit offiziell heißt – einiges zu bieten. Ich besuche die National Gallery of Modern Art, die größte Sammlung moderner Kunst Indiens, die leicht einen ganzen Tag in Anspruch nimmt, sowie kleinere Ausstellungen ortsansässiger Künstler, die mit ihren Werken eine Brücke zwischen traditioneller indischer Malerei und zeitgenössischer westlicher Kunst errichten.

Old Delhi und New Delhi

Das größte Kunstwerk ist jedoch ohne Zweifel die Stadt selbst – die vielen verschiedenen Farben, das bunte Treiben auf den Märkten, die sofort ins Auge fallenden Kontraste. Letztere werden am deutlichsten, wenn man die beiden Hauptstadtteile New Delhi und Old Delhi vergleicht. Während Old Delhi das typische indische Chaos darstellt, mit engen Straßen, vielen Menschen und auch viel Armut, so ist New Delhi das genaue Gegenteil. Von den britischen Besatzern entworfen besteht es aus geraden weiten Alleen, überall ist es grün und nur selten sieht man das eine oder andere Gebäude – entweder Museen, Regierungsbüros, oder luxuriöse Hotels, allesamt meist bewacht von Soldaten oder privaten Sicherheitskräften.

Ich bin hin und her gerissen zwischen den Welten und kann mich oft kaum entscheiden, wohin ich gehen soll. Zum Glück liegt meine Unterkunft praktisch genau in der Mitte und ich kann ohne Probleme einen Tag in der Altstadt und den nächsten im neuen Stadtteil verbringen. In dem hektischen Treiben, den endlosen Erkundungsgängen und den zahlreichen Gesprächen scheint die Zeit geradezu zu verfliegen, und bevor ich es realisiere, sind meine letzten Tage in diesem Land der Widersprüche angebrochen.

Mit gemischten Gefühlen packe ich ein letztes Mal auf dieser Reise meinen Rucksack. Einerseits freue ich mich wieder nach Hause nach Deutschland zu kommen, doch andererseits ergeht es mir wie so vielen Reisenden vor meiner Zeit – Indien hat mich in seinen Bann gezogen und wird mich so schnell auch nicht mehr loslassen. Ich sitze im Taxi. Nach einer halbstündigen Fahrt erreiche ich den Flughafen. Die Zeit ist gekommen, es heißt Abschied nehmen.

Mach’s gut Indien, bis zum nächsten Mal. Danke für alles, es war eine magische Zeit.


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10.06.11: Alles ist in Bewegung

22.06.2011: Aufbruch zur Schneegrenze

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